Wochentage duften, machen Geräusche und sind gelb, orange und auch rot
So funktioniert Kommunikation ohne WorteHier leuchtet der Montag Sonnen-gelb, duftet nach Zitronen und fühlt sich an, als ob man über ein Netz streicht, in dem die Mandarinen zum Verkauf bereit liegen, weihnachtliche Vorfreude weckend. Konzentriert lauschen die Schülerinnen und Schüler einem Klackern, das von einer Murmel stammt, die in einer Dose tanzt und hüpft. Auch das ist Montag.
Wir sind schon mittendrin. Kommunikation mit Kindern und Jugendlichen, die über wenig oder gar keine Lautsprache verfügen, die motorisch und kognitiv beeinträchtigt sind, blind oder kaum sehend. Mit Hilfe von Farben, Düften, Berühren und Klängen. Unter Einsatz von Gebärden, Piktogrammen und elektronischen Hilfsmitteln kommunizieren wir in der Schule und im Alltag der Blindenschule Zollikofen. Unterstützte Kommunikation lautet der Fachbegriff.
Text: Dagmar Wurzbacher. Bild: Max Strässle.
Damit auch Sie sich ein Bild davon machen können, nehmen wir Sie mit in einen Unterrichtsmorgen. Es ist die erste Schulstunde an diesem Montagmorgen, alle sind gerade aus dem Wochenende in ihren Familien wieder in der Blindenschule angekommen. Einige werden am Abend nach Hause gehen, andere die Nacht in den Wohngruppen verbringen. Der Morgen gleicht dem Gewusel wie auf jedem Schulhausplatz, nur, das Verhältnis Kinder und Lehrpersonen ist nicht das gewohnte. In unserer Klasse, die wir heute Morgen begleiten werden, betreuen vier Personen – zwei Lehrerinnen und zwei Assistenzen – sechs Schülerinnen und Schüler, die Phacharaphon, Luca, Masuma, Hasan, Ronja und Laura heissen und zwischen 10 und 15 Jahren alt sind.
Die erste Stunde steht jeweils im Zeichen des Ankommens. Des Begrüssens. Des Wochentags. Des Monats. Der Jahreszeit. Ritualen gleich. Eine Dose aus Metall, die ein Taster ist, der besprochen werden kann, wird reihum gereicht. Ein Druck darauf und schon ertönt eine Stimme: «Guete Morge, i bi da.» Einige drücken kräftig, andere scheinen es kaum wahrzunehmen. Sanft ergreift dann Karin Frühauf die Hand und führt sie. «Guete Morge Phacharaphon, schön, bist du da», begrüsst die Klassenlehrerin jeden Jugendlichen einzeln. Ein kurzes Aufblicken, ein leises Lächeln, ein Blick. Manchmal auch ein kurzer Schrei, ein Aufbäumen, ein Zucken, ein Unruhig-Werden. Kleinste Signale der Freude oder auch eines Unwohl-Seins.
Das gleiche Reihum beim Wochentag. Welche Wochentage gibt es und welcher ist heute? Die Jugendlichen fördern bedeutet, ihnen eine Auswahl zu geben. Zwischen Gelb für Montag und Orange für Freitag. Zwischen textiler Struktur und glatter Oberfläche, zwischen Zitronenduft und Zimt. Nach Zimtsternen duftet übrigens der Mittwoch und er leuchtet rot. Nicht immer klappt es auf Anhieb, auf die richtige Farbe zu deuten. «Die Kinder und Jugendlichen lernen, indem sie Erfahrungen machen. Immer und immer wieder», erklärt Karin Frühauf. Für Aussenstehende sieht es aus, als lenkten die Lehrpersonen oder Assistenzen die Hände in eine Richtung, doch korrigiert Frühauf: «Die Jugendlichen geben den Impuls.»
Selbstständigkeit als Bildungsziel
Die Blindenschule Zollikofen unterrichtet nach dem Lehrplan 21. «Auch bei uns ist das Ziel von Bildung, höchstmögliche Selbstständigkeit zu fördern», sagt Karin Frühauf. Und das bedeutet für ihre Klasse: Die Kinder und Jugendlichen, die Mühe haben, sich auszudrücken, aus ihrer Isolation herausführen und ihnen ermöglichen, sich mitteilen und ihren Willen äussern zu können.
Denn am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, setzt voraus, entscheiden zu können. Zum Beispiel, ob ich etwas will oder nicht. Die Wahl zu haben zwischen Früchten zum Znüni, zwischen Käse und Wurst. Das Bedürfnis zu äussern, ob ich mich in der Pause mit einem Buch beschäftige oder in der Hängematte ruhe. Kann ich selbst entscheiden, hat dies unmittelbare Auswirkungen auf die Selbstachtung. Unterstützte Kommunikation ist ein Mittel dazu. Persönliche Betreuung die Voraussetzung. Oftmals eins zu eins. Und Zeit.
In der zweiten Stunde stehen jeden Morgen Znüni und Körperpflege auf dem Stundenplan. Jetzt können Phacharaphon, Luca, Masuma, Hasan, Ronja und Laura das Gelernte in der Praxis anwenden. Masuma liebt Zwetschgen und klickt gleich zweimal auf das entsprechende Symbol auf ihrem iPad. Laura möchte zuerst trinken, bevor sie etwas isst. Sie kommt gerade von der Hippotherapie und hat Durst. Ihre Hand greift gezielt zum Piktogramm mit dem Glas.
Die Pause verbringen die Jugendlichen individuell, in Zimmern angrenzend zum Schulzimmer. Masuma, die Bücher über alles liebt, hat sich mit einem Stapel versorgt. Phacharaphon ruht in der Hängematte, Luca türmt Bauklötze, Hasan wiegt sich auf einer Gymnastikmatte. Ronja braucht Ruhe und schläft allein in einem Zimmer, Laura holt das Znüni nach, das sie aufgrund ihrer Therapie verpasst hat.
Wir stören die Jugendlichen nicht in ihrer Ruhe und trinken einen Kaffee. Karin Frühauf erklärt, wie es in der zweiten Morgenhälfte weitergeht. Mit der «Literatur im Fokus» im Deutschunterricht, zunächst jedoch Mathematik. Dort sind die Gegensatzpaare «Klein und Gross» und «Lang und Kurz» zurzeit Thema.
Und so werden Hausschuhe ausgezogen und miteinander verglichen. Schreibtische werden vermessen und die Anzahl Schuhe notiert. Mathe zum Anfassen. Masuma findet es nicht so toll, dass fremde Schuhe auf ihrem Pult herumlaufen, doch als Karin Frühauf die Kiste mit den Büchern hervorholt, blüht sie auf. Dank der schuleigenen Bibliothek haben die Schülerinnen und Schüler jederzeit Zugang zu Büchern. Auch diese Klasse leiht regelmässig Bücher aus. Mit Hilfe des Tablets «lösen» sie Aufgaben dazu. So lernen sie, dass es Bilderbücher, Liederbücher, Geräusch und auch Tastbücher gibt. All dies geschieht wortlos. Doch die Freude und der Stolz der Jugendlichen blitzt aus ihren Augen und ihrem ganzen Gesicht.









Unterstützte Kommunikation
Wir wenden Unterstützte Kommunikation überall dort an, wo es um die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen geht; bei der Gestaltung der Freizeit, beim Essen und Trinken, in den Wohngruppen. Mit
• Gebärden. Hand- oder Körperbewegung.
• Piktogrammen. Standardisierte Bildzeichen, z. B. für Toilette.
• Taktilen Symbolen. Fühlbare Zeichen, aus unterschiedlichem Material mit unterschiedlicher Form.
• Elektronischen Kommunikationshilfen. Sprechende Tablets, Smartphones, Taster mit Sprachausgabe.
• Farben, Düften, Klängen. Für die Orientierung, für Stimmungen oder Zustände.
Die Unterstützte Kommunikation richtet sich auch an Menschen, die im Autismus-Spektrum leben.






















































