In den Startlöchern für die Hippotherapie
Drei Jahre gab es an der Blindenschule keine Hippotherapie. Ab diesem Schuljahr starten wir dieses Angebot endlich wieder neu. Sophie Unternährer erzählt uns, wie sie aufs Pferd gekommen ist und was das Angebot so wertvoll macht.Wir treffen Sophie Unternährer im Reitstall in Schüpfen. Sie ist gerade daran, das älteste unserer Pferde, den 31-jährigen Stelkur, zu striegeln. Es ist eine Woche vor Schulstart, und die neue Hippotherapeutin macht sich nochmals mit unseren sechs Therapiepferden vertraut.
Hallo Sophie. Kannst du uns von deinem beruflichen Werdegang erzählen? Unter anderem auch, wie du zur Hippotherapie gekommen bist?
Sophie Unternährer: Nach einem Sommer auf der Alp begann ich vor drei Jahren, als Physiotherapeutin an der Blindenschule zu arbeiten. Die Erlebnisse in der Natur und die Arbeit mit Tieren weckten in mir den Wunsch, diese beiden Aspekte auch beruflich umzusetzen. An der Blindenschule war damals das fehlende Hippotherapie-Angebot immer wieder ein Thema. Mein Chef kam eines Tages auf mich zu und fragte mich, ob das nicht etwas für mich wäre. Ich begann, mich über Hippotherapie und die Weiterbildung dazu zu informieren. Rasch wurde mir klar, dass ich diese Chance nutzen möchte. Nach anderthalb Jahren Weiterbildung zur Hippotherapeutin kann ich es kaum erwarten, dass es endlich losgeht!
Was ist denn der Unterschied zwischen Physio- und Hippotherapie? Oder anders gefragt, was für Gemeinsamkeiten gibt es?
Die Hippotherapie ist ein Spezialgebiet innerhalb der Physiotherapie. Beides ist also Physiotherapie und verfolgt die gleichen Zielsetzungen. Das spezielle bei der Hippotherapie ist der Faktor Pferd. Das Tier ist gerade für Kinder mit Beeinträchtigungen ein wertvoller Therapiepartner. Das Pferd erleichtert den Zugang zu den Kindern. Gewisse Übungen ergeben sich durch die Bewegungen auf dem Rücken des Pferdes wie von selbst.
Du hast jetzt gerade ein paar Gründe erwähnt, die für die Hippotherapie sprechen. Was sind deiner Meinung nach weitere Punkte, die diese Therapieform so wertvoll machen?
Die meisten Kinder sind begeistert und fasziniert vom Therapiepartner Pferd. Das Pferd strahlt Ruhe aus, und das macht Eindruck. Auf der anderen Seite schaffen es die Pferde einzig durch ihre Bewegungen, dass die Kinder für eine halbe Stunde ihren Rumpf ohne viel Dazutun trainieren. Das ist gerade bei Kindern, die Mühe haben, verbalen Anleitungen zu folgen, genial. Es braucht keine aktive Einwirkung durch mich. Bei Bedarf kann ich die Bewegungen mit konkreten Handgriffen am Becken und Rumpf des Kindes unterstützen.
Die Hippotherapie wird ja von der Invalidenversicherung (IV) finanziert. Was für Kriterien müssen unsere Schülerinnen und Schüler erfüllen, damit sie von dieser Therapie profitieren können?
Die meisten der Schülerinnen und Schüler, die von der Therapie profitieren dürfen, sind von zentralen Bewegungsstörungen betroffen. Das heisst, sie leiden zum Beispiel an Spastiken (vorübergehende oder anhaltende überhöhte Muskelspannung), Ataxien (Bewegungskoordinationsstörungen) oder Gleichgewichtsstörungen, um nur einige zu nennen. Kinder mit Trisomie 21 profitieren vor allem durch die Erhöhung der Körperspannung, was ihnen zum Beispiel auch beim Sprechen hilft.
Zu erwähnen sind aber auch die körperlichen Voraussetzungen, die das Kind für die Therapie erfüllen muss. Bei Kindern mit wenig Rumpf- und Kopfstabilität ist die Therapie schwierig. Teilweise können Schülerinnen und Schüler, die diese Kriterien nicht erfüllen, vom Heilpädagogischen Reiten profitieren.
Dann gehen alle Schülerinnen und Schüler, die diese Kriterien nicht erfüllen, ins Heilpädagogische Reiten?
Nicht unbedingt. Beim Heilpädagogischen Reiten geht es auch darum, das Kind ganzheitlich und individuell zu fördern. Ein Pferd kann zum Beispiel einem Kind, welches verhaltensauffällig ist, ganz natürlich Grenzen setzen. Es ist der perfekte Erziehungspartner, ohne autoritär zu sein. Bei Kindern, die mit Blindheit oder Sehbeeinträchtigung leben, bietet das Pferd und der Stall spannende Erlebnisse. Und für Schülerinnen und Schüler im Autismus-Spektrum kann das Heilpädagogische Reiten zu einer Verbesserung des Sozialverhaltens führen. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Heilpädagogische Reiten ist, dass die Schülerinnen und Schüler Freude am Pferd haben.
Die Hippotherapie hingegen hat einen medizinischen Hintergrund und hat die Verbesserung der Körperfunktionen zum Ziel. Das Heilpädagogische Reiten ist eine ergänzende Unterrichtseinheit, welche individuell auf die Kinder und Jugendlichen angepasst wird. Bei beiden ist es wichtig, dass die Kinder davon profitieren können und Freude haben. Wir als Team geben unser Bestes, dass das auch im neuen Schuljahr so sein wird.
Wir wünschen dir und deinem Team auf jeden Fall einen guten Start. Danke dir, dass du dir für dieses Interview Zeit genommen hast.
Lernen fürs Leben beim Heilpädagogischen Reiten
Beim Heilpädagogischen Reiten steht die individuelle Förderung im Vordergrund. Das Ziel dieses Angebotes ist es, Kinder und Jugendliche körperlich, geistig und emotional zu fördern und zu fordern.
Die seh- und mehrfachbeeinträchtigten Schülerinnen und Schüler erleben auf dem Pferd, sich ohne Rollstuhl und ohne Führperson fortzubewegen. Das praktische Handeln mit dem Pferd bietet besondere Tasterlebnisse und unterstützt die Bewegung. Für viele Kinder ist das Heilpädagogische Reiten überaus wertvoll.
Doch anders als die Hippotherapie, die von der IV finanziert wird, ist das Heilpädagogische Reiten auf Spenden angewiesen. Dank Ihrem Engagement fördern Sie die Gesundheit und die Lebensqualität der jungen Menschen ganz wesentlich. Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung.