Das Schweizerische Blindenmuseum: Ein Morgen in einer anderen Welt
Wenn Alexander gleich Marilenas Stein vom Spielbrett kickt, kann es durchaus sein, dass er ins Leere schlägt. Eins, zwei, drei…
Ein Spiel.
Eine Gelegenheit.
Spass zusammen.
Unbeschwert, wie es Kinder eben können, haben die Zweitklässler das «Eile mit Weile»-Brett in Beschlag genommen. Doch der Schein trügt. So unbeschwert ist das Spiel hier im Atelier des Blindenmuseums in Zollikofen nicht. Wer nochmals aufs Bild oben sieht, erkennt, dass die Kinder mit Brillen spielen, die sich gleichen. Es sind spezielle Brillen, die die Sicht stark einschränken. Und schon ist es passiert; Alexander schlägt daneben. Die beiden lachen.
«Man sollte nicht mit einem Blindenhund spielen wollen. Das lenkt ihn von seiner Aufgabe ab.»
Zitat eines Schulkindes
18 Kinder füllen die Räume des Blindenmuseums. Da ist der Dunkelraum, in dem sie in die Geräusch-Welt einer blinden Schülerin eintauchen werden, vom Aufstehen am Morgen über den Schulweg mit dem Zug bis zur Ankunft im Klassenzimmer der Blindenschule. Da ist die Ausstellung mit Exponaten Theodor Staubs, die die Entwicklung der Blindenpädagogik über 200 Jahre dokumentiert. Da ist der Eingangsbereich, in dem sechs blinde und sehbeeinträchtigte Menschen im Alter von 13 bis 80 Jahren Aug in Aug mit der Besucherin von ihrem Alltag erzählen. Da ist aber vor allem das Atelier mit seinen spielerischen Wegen, zu entdecken, was «anders sehen» bedeutet, mit Nase, Händen, Füssen und dem Hörsinn.
Tasten.
Fühlen.
Hören.
Riechen.
«Blinde sind beeinträchtigt, nicht blöd.»
Zitat eines Schulkindes

Die 200-jährige Geschichte lassen die Sieben- und Achtjährigen links liegen, den Eingangsbereich durchstreifen sie nur auf dem Weg zu den verschiedenen Posten. «Der Dunkelraum», werden später viele der Mädchen und Jungs auf die Frage antworten, was ihnen am besten gefallen hat. Ein wenig unheimlich zwar, dank des Lichts, das die Lehrerinnen Monika Illien und Sibylle Wüest ab und zu aufleuchten lassen, und der Hände rechts und links, hat jedoch kein Kind das Verlangen, vor Ende der Erzählung zurück in das Tageshell zu gehen. Eine seltene Erfahrung des kompletten Sehverlustes. Hoch im Kurs steht auch «Gschänkli einpacken», mit ebensolchen Brillen wie beim Brettspiel und deshalb ganz und gar kein Kinderspiel. Und natürlich das Mandala-Malen mit Spezialbrille. Marilena, die sich die Finger vollkleckst und doch das umrandete Feld ohne Ausreisser ausmalt, verrät den Trick: «Ich habe durch das Loch aufs Papier geblinzelt.» Klitzeklein im rechten Glas der Brille, die den Röhrenblick simuliert, erlaubt das Loch präzise Sicht, wo sonst nur Nebel verschleiert.
«Über Blinde soll man nicht lachen. Das ist nicht cool.»
Zitat eines Schulkindes
Eine Woche später. Im Klassenzimmer. Erinnerungen. Wie es wohl für blinde Kinder in der Schule ist? «Schwierig» ist ein Wort, das sehr oft fällt. Und grossen Respekt verrät. «Sie können nicht einfach in ein Buch schauen oder von der Wandtafel abschreiben.» «Die Brailleschrift ist ganz schön schwierig.» «Es ist total mies, über blinde Menschen zu lachen. Sie sind nicht blöd.» «Man sollte ihnen helfen, wenn sie den Zebrastreifen suchen oder die Zugtür. Und einen Platz zum Sitzen anbieten.» Die Nachricht ist erfolgreich angekommen.

«anders sehen» für Schulen
Das Verständnis für Menschen fördern, die nicht oder nur eingeschränkt sehen können, und das Thema Blindheit in unserer Gesellschaft sichtbarer machen: Das ist das Ziel des Blindenmuseums, das zur Blindenschule Zollikofen gehört. Mit auf Schulkinder, Studierende und auch Erwachsene zugeschnittenen Workshops und Teamevents sensibilisieren wir und fördern Toleranz auf eine spielerische Art und Weise. Der breiten Öffentlichkeit steht das Museum in seinem ganzen Erlebnisspektrum ebenso zur Verfügung.
Das Museum kann auf keine finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand zählen. Danke, dass Sie mit Ihrer Spende mithelfen, dass das Museum weiterhin als Ort des Wissens und der sinnlichen Erlebnisse besteht.