Der Ambulante Dienst der Blindenschule Zollikofen begleitet Flynn in St. Stephan im (Schul-)Alltag
Wie kann man die Kraft aus der Erde nehmen?
Wie tönen Kühe?
Ist heute jetzt?
Was kennt Liebe nicht?
Die Fragen kommen aus heiterem Himmel. Auf dem Schulweg. Während er sorgfältig sein Znüni-Sandwich auspackt. Auf dem Weg vom Musik- ins Klassenzimmer. Während er vor der Braille-Schreibmaschine sitzt.
Flynn. Siebenjährig. Erstklässler. Blind. Die Brille hilft ihm, nicht ständig in die Augen zu greifen und zu drücken. Denn eigentlich mag er die Blitze, die er dann sieht. Haben Sie das schon ausprobiert? Flynn besucht die erste Klasse in der Primarschule in St. Stephan im Obersimmental im Kanton Bern. Zwei Jahrgänge sind in seiner Klasse vertreten, ein vielseitiges Lehrpersonenteam ist für die 23 Kinder verantwortlich und der Unterricht findet im Teamteaching statt. Lehrpersonenmangel hatte 2022 das Schulteam quasi gezwungen, auch unkonventionelle Lösungen in Betracht zu ziehen. Es funktioniert.
Betritt man das Schulhaus, spürt man sie sogleich: eine Atmosphäre der Fröhlichkeit, der Farbigkeit, der Phantasie. So, wie Schulhäuser sein sollten. Man wünschte sich, nochmals zur Schule zu gehen. In Flynns Klassenzimmer sind die Tische so angeordnet, dass Kinder in Gruppen zusammenarbeiten können. Nischen und Vorhänge bieten ihnen die Möglichkeit, sich zurückzuziehen. Das ganze Leben ist an den Wänden rundum präsent. So stellt man sich Ganzheitlichkeit vor. Das Leitbild ist auch im Schulgarten sichtbar. So wie die ersten Pflanzen seit Juni 2022 wachsen, so gedeiht es.
Flynn hat im Schulzimmer sein eigenes Reich. Einen verstellbaren Tisch mit der Braille-Schreibmaschine. Ein Regal voller Lehrmittel, die das Team der Blindenschule Zollikofen je nach Bedürfnis entwirft und herstellt. Ein Brett mit Schrauben, Schlössern, Reissverschluss, Knöpfen, auf deren Druck sich etwas schliesst oder öffnet, zum Beispiel. «Flynn liebt es, zu drehen und zu werken», erzählt Carla Kinzl, Lehrerin des Ambulanten Dienstes, die zweimal in der Woche Flynn einen Morgen lang im Unterricht blindenspezifisch schult. An den anderen Tagen begleitet ihn eine Assistentin.
Während Flynn voller Stolz seine Fertigkeiten vorführt, hält er immer mal wieder ein Werkzeug hoch und fragt: «Siehst du, was das ist?» Wenn einem die Bezeichnung des Sechskantschlüssels nicht gerade in den Sinn kommt, insistiert er: «Denk nach!» «Jedes Kind braucht seine persönliche Art der Unterstützung. Da ist Flynn nicht anders», sagt Sandra Tschannen, die Flynn beim Xylophon-Spiel die Hand führt. Sie ist Flynns Klassenlehrerin. Bei Mathe und Deutsch sei sie hingegen froh, dass die Lehr- und Assistenzpersonen des Ambulanten Dienstes den Schulunterricht begleiten.
Wer hat schon eine BMW zerlegt?
Flynn weiss viel. Nicht nur, weil er mit seinem Vater bereits ein BMW R65 Motorrad in seine Einzelteile zerlegt hat. «Flynn vergleicht vieles mit seinen Erfahrungen und seinem Erlebten», sagt Carla Kinzl, die ihn seit dem ersten Kindergartenjahr begleitet. Wenn es frisch geschneit hat, riecht es friedlich. Manchmal knistert der Schnee wie das Schoggipulver in der Frühstückstasse. Manchmal wie das Feuer im Kamin. Als er zum ersten Mal einen Pinsel hielt, fragte er: «Soll ich den Tisch streicheln?»
«Und ja, er kann dem Schulstoff problemlos folgen, in manchen Fächern ist er sogar voraus.» Flynn schreibt bereits alle Buchstaben des Alphabetes samt Sonderzeichen auf der Punktschriftmaschine und kann lesen. Rechnen ist nicht so seine Stärke. «Jedes Kind hat zu verschiedenen Zeiten seine Entwicklungen», sagt Carla Kinzl. Und in dieser Schule bekommen sie ihre Zeit.
Wir sind Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, noch die Antwort auf einige Fragen zu Anfang schuldig. Und das sagt Flynn: Liebe kennt keine Grenzen. Und Verliebtsein fühlt sich an wie ein Looping im Bauch.

Der Ambulante Dienst der Blindenschule Zollikofen
Sie können nicht einfach von der Wandtafel abschreiben. Sie sehen nicht, wie der Pinsel in die Farbe taucht und über das Papier streicht. Und wie und wo schreiben sie die Lösungen für Aufgaben nieder?
Trotzdem gibt es blinde und sehbeeinträchtigte Kinder in der Regelschule. Damit das möglich ist, unterstützt der Ambulante Dienst der Blindenschule Zollikofen die Lehrpersonen und die Familien der Kinder im Alltag.
Dies ist eine der Dienstleistungen der Blindenschule Zollikofen auf einer breiten Palette, mit der wir Kinder und Jugendliche fördern, damit sie ein selbstbestimmtes Leben leben. Die meisten der Angebote sind staatlich finanziert, doch nicht alle. Wir sind überzeugt, dass es beide braucht. Danke, dass Sie mit Ihren Spenden den Kindern zur Seite stehen.